Dienstag, 9. Juni 2020

Baukulturelle Bildung

Baukultur ist vorhanden – Baukulturelle Bildung ist eine Investition in die Zukunft


Gebäude überleben in der Regel einige Generationen, wenn nicht Bomben oder die Abrissbirne ihnen ein vorzeitiges Ende bescheren. Der Zweite Weltkrieg von 1939 bis 1945 hat in Deutschland in vielen Städten die Leistung von Bomben anschaulich bewiesen und die Abrissbirne hat bei der Trümmerbeseitigung für Kahlschlag gesorgt. Es wundert nicht, dass die Überlebenden dieser Jahrhundertkatastrophe durch raschen Aufbau von Wohnraum einerseits die Städte wieder bewohnbar machten, andererseits durch neue Bauformen nicht mehr an die alte Zeit erinnert werden wollten. Das eröffnete der Abrissbirne weit über das Notwendige hinaus ein weiteres Betätigungsfeld. Die frühe Nachkriegsmoderne kannte kaum den Wert des Vorhandenen, mit Ausnahme von gut erhaltenen Jahrhunderte alten Baudenkmälern. Man wollte eher im Nachkriegsstatus die Chance sehen, das Alte zu überwinden und der Zukunft, z. B. mit einer auto-gerechten Stadt, entgegenkommen. Diese Entwicklung machte auch nicht vor unzerstörten Städten und dem ländlichen Raum halt. Ohne Not wurden in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr Häuser abgerissen, als dem Krieg zum Opfer fielen. Selbst Gebäude, die nach langen Jahren der intensiven Nutzung eine Sanierung brauchten, wurden in ihrem Erscheinungsbild so „erneuert“, dass ihr ursprüngliches Gesicht nicht mehr zu erkennen war. Renovierung war gleichbedeutend mit Entpersönlichung. So erscheinen deutsche Städte und auch Dörfer oft wiederaufgebaut oder ergänzt mit Standardbauten in recht einheitlicher Prägung und mit renovierten Fassaden, die sich kaum unterscheiden.


Es wundert nicht, dass sich vielerorts Unmut äußert, Baumaßnahmen kritisch hinterfragt werden und eine kompetente Gestaltung des öffentlichen Raumes eingefordert wird.  Dabei fehlt es nicht an gutem Willen von Verwaltungen und Investoren, ansprechende Lösungen anzubieten. Doch viele dieser Maßnahmen werden im Endeffekt mehr geduldet als geschätzt. Es scheint, dass zwischen der Wahrnehmung des öffentlichen Raumes durch die Bevölkerung, also denjenigen, die sich im öffentlichen Raum bewegen und denen, die ihn geplant, genehmigt und gebaut haben, ein Kommunikationsproblem besteht. Das in Baumaßnahmen Intendierte wird nicht Realität und das Erwartete erscheint nicht. Sprechen Planer und Nutzer zwei verschiedene Sprachen?
Über Architektur wird viel geredet, weil sie omnipräsent ist, doch zeigt sich sowohl im öffentlichen Diskurs unter Nichtfachleuten wie auch im kleinen eigenen Umfeld, dass sehr oft ästhetische Urteile ohne Sachkenntnis mit deutlich gefühlsbetonter Wertung verbunden die Auseinandersetzung bestimmen. Die Fachleute sehen sich dann oft in der Situation, dass sie ihre Vorschläge oder das bereits Gebaute wortreich erklären und „schönreden“ müssen. In den meisten Fällen ist dann einerseits betroffenes Schweigen die Folge, andererseits verstärkte gefühlsbetonte Ablehnung. Eine Versachlichung, wie sie oft gefordert wird, tritt nach der Fertigstellung eines Bauvorhabens selten ein, eher resignative Gewöhnung mit einer sehr zurückhaltenden Akzeptanz und unguten Gefühlen bei den Verantwortlichen, die sich dann oftmals trotzig auf die „Normalität“ einer solchen Reaktion zurückziehen und sich an das Baurecht halten und Denkmalschutz Aspekte nur widerstrebend erfüllen.


Ästhetische Wertung der Öffentlichkeit trifft auf akademisches Argumentieren mit Fachtermini, die dem Laien nicht geläufig sind. Ein Konsens, der auch Außergewöhnliches zulässt, ist so selten erreichbar. Es fehlen offensichtlich einerseits das Repertoire in Wahrnehmung und Sprache, die Wertvorstellungen zu kommunizieren und andererseits die Bereitschaft, eine elitäre Position aufzugeben. So erhebt sich die Frage, inwieweit lassen sich Problembeschreibung und Problemlösung durch verbesserte Kommunikation im Bereich des öffentlichen Bauens und allgemein in der Baukultur verbessern? Die aktuelle Diskussion um notwendige Bauprojekte und die oft fragwürdigen Ergebnisse signalisieren Handlungsbedarf, denn die aufmerksame Öffentlichkeit spürt, dass mit der wertvollen Ressource Grund und Boden noch viel verantwortlicher umgegangen werden muss, als bisher üblich. Durch die Agglomeration von Gebäuden entsteht noch lange kein angenehmer Lebensraum, ebenso wenig wie aus vielen Tönen Musik entsteht, sondern höchstens Lärm, so muss es das Ziel des öffentlichen Bauens, besonders beim Wohnungsbau sein, keinen „architektonischen Lärm“ zu produzieren, sondern Lebensräume für Menschen zu schaffen, die Heimat suchen und brauchen. Eine besondere Aufmerksamkeit muss wieder die Fassadengestaltung bekommen, denn gerade dieser Übergangsbereich zwischen privatem Innenraum und dem öffentlichen Raum kann nicht nur durch eine 30 cm dicke Außenwand definiert sein. Von innen kommt nicht das Gefühl der Privatheit auf und von außen empfindet man unangenehme Distanzlosigkeit. Abstandsverordnungen und schmale Vorgärten, evtl. nur mit Kiesschüttung lösen das Problem nicht. Die Fassade definiert durch plastische Strukturierung einen eigenständigen transitorischen Bereich zwischen Außen und Innen und gibt dem Außenraum besonders durch seine Gestaltung ihre Aufenthaltsqualität. Materialien und Farbgebung sind an diesem Gestaltungsprozess wesentlich beteiligt. Das Verschwinden von gestalteten Fassaden durch Sanierungsmaßnahmen in den 60er Jahren haben oft nicht nur die Gebäude selbst ihres Charakters beraubt, sie haben auch den angrenzenden öffentlichen Raum unattraktiv gemacht. Ein wesentlicher Grund für das Unbehagen in vielen Stadtquartieren.
Nicht nur die Fassade des einzelnen Gebäudes, sozusagen sein Gesicht, bestimmt in seiner Summe die Wirkung des öffentlichen Raumes und seiner objektiven und emotionalen Wahrnehmung. Wenn der öffentliche Raum eine soziale und damit auch politische Wirkung haben soll, muss die Wechselwirkung zwischen Gebäuden einer Straße, eines Platzes oder eines Quartiers behutsam und gewissenhaft untersucht werden und in der Planung schon berücksichtigt werden. Dabei kommt es darauf an, die Interaktion oder auch Kommunikation zwischen den Gebäuden zu benennen. Denn erst dann wird die emotionale Wirkung transparent. Da es wahrscheinlich nicht grundsätzlich relevant erscheint, die Befindlichkeit von Menschen als stark durch die bebaute Umwelt beeinflusst zu sehen, wird dieses auch nicht ebenso grundsätzlich in der Planung berücksichtigt. Ästhetische Nähe, ästhetische Ferne, ästhetische Rücksichtnahme, ästhetische Rücksichtslosigkeit, ästhetische Kontroverse, ästhetische Polarisierung usw. sind wahrnehmbare Kategorien in Siedlungen und anderen bebauten Räumen und haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Empfindungen und die sozialen Interaktionen der Bewohner.


Wir brauchen also baukulturell gebildete Personen, die nicht nur emotional den öffentlichen Raum wahrnehmen, sondern auch konkret benennen können, welche Ursachen ihre Gefühle auslösen und reduzierte Hemmungen haben an der Gestaltung des öffentlichen Raumes teilzunehmen.

Was zeichnet eine baukulturell gebildete Person aus? (individuelle Kompetenz)


Baukulturelle Bildung ist zunächst ein Teilbereich der kulturellen Bildung, die sich auf alle Bereiche der Kultur bezieht. Kulturelle Bildung wird in erster Linie eingefordert von Kulturinstitutionen, die einerseits ihren Nachwuchs ansprechen wollen und andererseits ein kompetentes Publikum erwarten. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Musik und des Theaters. Außerdem ist die Anstrengung der Institutionen im Bereich der kulturellen Bildung notwendig, um von der Öffentlichkeit anerkannt und subventioniert zu werden. So wird „kubi“ zu einem Teil der Allgemeinbildung, die als Leistung der öffentlichen Schulen und Bildungseinrichtungen erwartet wird. Sich selbst als Teilhaber einer Kultur zu verstehen, daran Interesse zu entwickeln und zur passiven und aktiven Teilhabe fähig zu sein, ist das ausgewiesene Ziel. Talentförderung und wirtschaftliche Interessen sind starke Antriebskräfte „kubi“ voranzutreiben. Die Forderung nach baukultureller Bildung muss einerseits ihre Notwendigkeit begründen, andererseits ihre Inhalte beschreiben. Bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen Elemente der „bakubi“ nur in einem kleinen Teilbereich der in den Lehrplänen beschriebenen Inhalte des Fach Bildende Kunst, dabei ist „bakubi“ der Bildungsbereich, der jeden Menschen nicht nur ab und zu berührt, sondern der in ununterbrochen lebenslang berührt und wenn die Person sich nicht selbst gestaltend beteiligt, muss sie auf die sie umgebende gebaute Welt passiv oder reaktiv eingehen. Demgegenüber erscheint das Angebot an Bildungsinhalten im allgemeinbildenden Schulwesen unterrepräsentiert.


Fortsetzung folgt.